So ein Wunder goes Print!

Liebe Leute, es ist so weit: Unseren Blog gibt es jetzt auch als Buch und E-Book. Irgendwann während des Schreibens haben unsere FreundInnen gefragt, ob wir den Blog nicht auch veröffentlichen wollen. Die Idee hat sich in unseren Köpfen festgesetzt. Und nachdem wir der Tigerin und anderen Entrepreneurinnen begegnet sind, war klar: Wir machen das! So hat sich mit der Zeit auch unser Schreiben verändert: wir haben verstärkt Hintergründe, Adressen und andere Angaben recherchiert, um anderen New York-Reisenden dabei zu helfen, die von uns besuchten Orte leichter zu finden. Wir freuen uns sehr: Das Buch ist erschienen und es kann bestellt werden – im Buchhandel, im Netz, überall. Viel Spaß beim Lesen, viel Spaß beim Reisen!

easyBook Cover Edith Wildmann, Anton Holzer: New York mit Kind und Kegel. Familienreiseführer zum Big Apple. BoD 2013, 184 Seiten, 90 farbige Abb., kartoniert. Eur 23,90 (D), 24,60 (A), 34,50 (CHF). Auch als E-Book!

Von East Harlem nach Ottakring – der Weg retour

Wir sind wieder zurück in Wien. Ja, so schnell geht das plötzlich. Zusammenpacken, Abschiednehmen, ein langer Flug – und schon sitzen wir, kaum angekommen, im schattigen Schutzhaus-Zukunft-Gastgarten auf der Schmelz. Ein wenig zu schnell ist das alles gegangen: die Kinder sind im Zwischenreich zwischen New York und Wien hängengeblieben. Marlene war ganz überdreht, kaum hat sie die alte, neue Wohnung betreten. Hat alles ausprobiert, Kleider, Spielzeug, Winkel, Orte. Als ob sie die Herbstraße neu erkunden müsste. Luis war auch aus dem Tritt. Abwechselnd überdreht und müde, aber ganz der Sonnenschein, der er ist, wenn sonst rundum alles passt. Der Gastgarten und der Spielplatz auf der Schmelz hat uns allen gut getan, wir sind, der Hitzewelle wegen, der wir auch hier nicht entkommen, zum Abkühlen gekommen, zum Verlangsamen der Reisegeschwindigkeit, zum in die Luft schauen, Kaffee trinken, Eis essen. Und das alles ein paar Schritte von zu Hause (ja, die Herbststraße ist nun wieder langsam unser zu Hause), ohne lange U-Bahnfahrt, ohne das mühsame treppauf und treppab in den Stationen. Auch wir beide, Edith und ich, sind noch nicht ganz angekommen, ich irrte stundenlang unbeholfen in der Wohnung herum, auf der Suche nach irgendwas (z.B. Ladekabel fürs Handy). Edith, mit etwas mehr Plan, setzte die ersten praktischen Schritte. Koffer ausräumen, etwas zu Essen machen, Kids am Balkon mit Wasser abspritzen.

In Gedanken sind wir noch irgendwo zwischen East Harlem, dem Flughafen John F. Kennedy, dem Wiener Flughafen und Ottakring. Ich drehe die Erinnerung noch einmal um ein paar Stunden zurück. Ein Zeitraffer von Eindrücken und Erinnerungen. Es tauchen auf: Die New Yorker Hitze, die in den letzten Tagen auf immer neue Rekorde zugesteuert ist. Gestern, Samstag, an unserem letzen Tag, gingen wir nicht mehr aus dem Haus, denn jeder Schritt auf die überhitzte Straße erschien uns unmöglich. Morgens waren wir noch bei unseren Vermieterinnen zum Frühstück eingeladen. Es war großartig wie immer, wenn wie bei ihnen zu Gast waren. Köstliche Sachen haben wir gespeist. Scrambled Eggs, Pancakes, eine uns unbekannte Frucht namens Mamey, Bagels, ausgezeichneten Käse, guten Kaffee und einiges mehr.

Dann stand das Taxi vor der Tür. Ein richtig großer amerikanischer Schlitten, in dem wir vier locker im Fond Platz fanden. Die Strecke zum Flughafen kannten wir bereits, wieder einmal über die Triborough Bridge mit einem letzten Blick auf Manhattan, dann durch Queens und Brooklyn zum Flughafen. Dort ging alles sehr schnell. Der Security Check versetzte uns für einige Minuten in Aufregung. Kontrolliert wird alles, mit geübtem Blick für alles Verdächtige, also uns. Schuhe ausziehen ist das mindeste. Die Securitys sind richtige Bullen. Nix höflich, nix nett, keine Rücksicht auf erschöpfte Familien mit zwei Kleinkindern. Alle wurden wir gnadenlos durch die Scanner getrieben. Marlene, die zusehends verzweifelter wurde, wollte nicht ohne uns durch das Gerät schreiten, was sie aber musste, ohne Pardon. Schlussendlich weinte und brüllte sie wie am Spieß, aber Vorschrift ist auch hier Vorschrift.

Endlich am Gate, im Zwischenreich zwischen Flughafen und Flugzeug, angekommen. Schon beginnen neue Aufregungen. Wir hatten keine Windel für 2 Kids und einen langen Nachtflug. Das reicht nicht. Shop mit Windeln im Angebot gibts hier nicht mehr. Was tun? Edith hatte die glorreiche Idee, im Flugzeug andere Familien mit Kleinkindern danach zu fragen. Das funkionierte tadellos, ich ergatterte von einem allein reisenden Vater mit 2jährigem Sohn aus dem schicken Brooklyner Park Slope (das hat Edith herausgefunden, weil sie in der Nähe zu Sitzen kam). Beute: 2 Windeln. Immerhin. Davor noch eine Aufregung: Flugzeugwechsel im letzten Moment, neue Sitzordnung, keine Spur von alle nebeneinander sitzen. Wir wären alle getrennt gesessen, außer Luis, der noch ohne eigenen Sitz reiste. Nach langem Hin und Her sind Edith und Luis ganz vorne gesessen, ich mit Marlene hinten. Protest chancenlos. Babykisterl, das uns am Herflug gute Dienste tat: nix da. Na ja.

Kurz nach 18 Uhr hoben wir ab, ein letzten Blick auf Coney Island und Manhattan, dann hinaus  über den Ozean. Marlene und ich kamen neben einer netten, aber ziemlich redseligen Lehrerin zu sitzen, die aus Buffalo stammt und dort Asylsuchenden und Immigranten Englischunterricht erteilt. Und nun auf dem Weg zu einer Donauschiffsreise war. Keiner üblichen Flussreise, sondern einer Folkdance-Schiffsreise. Also: die gesamte Klientel des Schiffes, wohl exklusive Belegschaft, würde, stellte ich mir vor, die Donau hinunter fahren und am Schiff amerikanische Volkstänze einüben. Während ich Marlene so gut wie möglich tröstete, weil sie viel lieber neben Edith sitzen wollte und zunächst das Essen verweigerte, redete von der anderen Seite Laureen auf mich ein und erzählte mir, was ihre beiden Söhne und ihre Töchter so machen. College alle drei, 55.000 Dollar im Jahr. Hmmm. Immer wieder fehlen mir einige Fetzen des Gesprächs, weil Marlene quengelte und ich nur mit einem Ohr Richtung Buffalo zuhörte. Letztes Jahr eine Kreuzfahrt in Portugal. Wir sprachen über: Deutsche Sprache, schwere Sprache, Ungarisch, Belgrad, das Eiserne Tor, Flugreisen in den USA, wieso man sagt jemand ist sick (krank) und nicht ill (ebenfalls krank), die Erklärung der Lehrerin weiß ich nicht mehr. Die Gesundheitsreform von Obama, die gerade vom Supreme Court genehmigt wurde. Patriotismus in den einzelnen Bundesstaaten, ob der stark ist, wollte ich wissen. Die Antwort ist verloren gegangen. Über das Essen (sie ist Vegetarierin, ich nicht), über Wien und die Wiener, über unsere Wohnung, Wohnungskosten, über Mieter und Häuserkaufen, über Dialekte in Deutschland, Österreich und der Schweiz, über die Kinder, ihre, unsere, dann streiften wir noch kurz das Thema Urlaubsgesetzgebung in den USA (traurig, 2 Wochen für Newcomer) und Europa (großzügiger). Irgendwann kackte Marlene in die Windel, ich stand anschließend mit ihr am Klo Schlange, um sie zu säubern. Dann überredete ich sie zu einer neuen Windel für die Nacht, sie weigerte sich, schließlich lenkte sie ein. Ich machte ihr eine schöne Bettstatt neben mir. Und im Handumdrehen war sie eingeschlafen. Ich leider nicht. Ich machte während des ganzen Fluges kein Auge zu. Die Lehrerin neben mir streifte, kaum hatten wir unser Gespräch aus Gründen der Ermattung beendet, ihre Schlafbrille über und machte bis kurz vor Wien keinen Mucks mehr. Ich war ganz neidisch. Zwei Stunden lang las ich Zeitung, eine weitere Stunde schaute ich einem Actionfilm in der Reihe vor mir zu, den ein Bulle von Mann (vermutlich Serbe, dachte ich) die halbe Nacht lang schaute. Ohne Ton natürlich. Daher nicht ganz so aufregend.

Dann gegen Mitternacht (New Yorker Zeit), wie durch ein Wunder, die ersten Sonnenstrahlen über good old Europe. Wir segelten zu dieser Zeit wohl irgenwo über Irland entlang. Dann ging alles recht schnell. Irgendwann Frühstück, Marlene wecken, landen, Gepäck abholen. Ediths Vater brachte uns dankenswerter Weise mit unserem Auto, das wie durch Zauberhand von einer Dreckschleuder in den funkelnden Mercedes verwandelt war, den wir damals gekauft hatten, nach Hause.

Und jetzt sind wir wieder da, in Wien. Aber angekommen sind wir noch nicht. Abends dann am Balkon am Laptop das erste und einzige Spiel der Fußballeuropameisterschaft gesehen. Spanien: Italien, 4:0. Kids dazwischen unruhig, Marlene schreit, Luis schreit. Wir fühlen uns, als wäre alles nur ein Traum gewesen. Aber wir werden wieder Fuß fassen, jedenfalls habe ich begonnen, die Post von zwei Monaten zu sortieren.

There’s still so much to do … Vom Abschiednehmen

Wer kennt Cat in the Hat? Ein aufgeregt fröhlicher Kater, immer auf Erkundungstour, mit einem riesigen rot-weiß gestreiften Hut, einem wunderbaren Fahrzeug (dessen Namen ich trotz tausendmaligem Hören noch immer nicht ganz verstanden habe), das auch fliegen kann und in einem Konfettiregen und aufsteigenden Luftballons startet. Stete Begleiter sind ein Fisch und zwei Maxln, wie Marlene sie nennt, die Thing 1 and Thing 2 heißen und Hilfsdienste jeder Art mit überbordender Begeisterung erledigen. Die Fähigkeit zu sprechen haben sie nicht, sondern sie geben unartikulierte Laute von sich. Solche Figuren, ähäm Sklaven, ich meine Thing 1 and Thing 2, würde sich heute niemand mehr trauen zu erfinden. Weil politisch korrekt sind die beiden keinesfalls. Marlene und ich würden uns übrigens auch solche Helferleins wünschen. The Cat in the Hat ist erstmals 1954 erschienen und ist bis heute ein Riesenerfolg, wie auch die anderen Bücher des Dr. Seuss. Wir haben zwei DVDs besorgt und sind begeistert, auch wenn Marlene derzeit unbedingt das sehr britische Geschwisterpaar Charlie&Lola favorisiert (auch meine absoluten Lieblinge).

Aber eigentlich wollte ich auf was anderes hinaus. Seit einigen Tagen schleppen wir uns durch die Hitze, die auf immer neue Höhepunkte zusteuert und unsere Laune in nie gekannte Tiefen sinken lässt. Und Marlene, immer lösungsorientiert, erinnert sich an die Tipps der Katze oder besser seiner Freunde, wenn es darum geht, trotz Hitze sich zu kühlen. How to stay cool. Ein Tipp: Bewege dich langsam. Ein anderer, diesmal einer von Marlene: Nichts wie hin zum Sprinkler. Wir tun beides, leiden aber trotzdem wie die Schweine.

Na gut, aber eigentlich gibt es eine noch viel wichtigere Mitteilung: Wir fliegen morgen, Samstag, den 30. Juni wieder heimwärts. Unsere zwei Monate New York sind vorbei. Ich bin angesichts der Hitze, die noch viel, viel schlimmer wird, nicht unglücklich darüber. Aber mammamia, was haben wir nicht alles erlebt. Hätten wir nicht gebloggt, hätten wir sicherlich die Hälfte davon schon jetzt vergessen. Wir nehmen alle sehr viel mit von hier. Aber bevor ich sentimental werde, erzähle ich jetzt lieber von diesem letzten vollen Tag hier:

Auf dem Programm hatten wir die Fotobuchhandlung Dashwood Books (33, Bond Street). Sie liegt in einer Gegend, die in den 1980er Jahren von findigen Real Estate Managern Noho getauft wurde (steht für: North of Houston Street, gleich dahinter beginnt das von uns sehr geliebte East Village. Es ist ein kleiner Bookstore, im Souterrain gelegen, fast wären wir daran vorbeigegangen, weil wir nur das ebenerdig liegende Bücherregalgeschäft gesehen haben. Direkt davor stehend haben wir noch gerätselt, wo diese Buchhandlung nun sei. Irgendwann haben wir sie dann doch gefunden. Herein darf man nur, wenn die japanische Buchhändlerin den Buzzer betätigt. Schön kühl war es drinnen, dank Klimaanlage. Die Japanerin erklärte Anton die Ordnung, in der die Bücher im Regal stehen. Sie dürfte sie nicht selbst eingeräumt haben, denn das System verstanden wir trotz Einführung nicht. Immer wieder deutete sie auf verschiedene Glaskästen und meinte: „These are expensive books“. Ganz hinten im Eck waren anscheinend all jene Bücher zusammengeschlichtet, die nirgendwo sonst hinpassten. Eine wilde „miscela“ war da versammelt. Lange haben wir uns in dem kleinen Buchkeller nicht aufgehalten.

Den Rest des Tages haben wir auf uns zukommen lassen. Und zugekommen ist zuerst einmal Peels auf uns. Ich lese in einer Bewertung: „If Peels is wrong, my friends, I don’t wanna ever be right.“ Wir hätten ausgezeichnet gefrühstückt, wären wir ohne Kinder gekommen, so hat Anton zwei Kaffees hinuntergestürzt, ich einen feinen hausgemachten Eistee und einen Scone, der einen bestimmten Namen hatte, an den ich mich nicht mehr erinnern kann: jedenfalls war er von der salzigen Sorte, mit Basilikum, Käse und einigen Nüssen drin. Wirklich fein. Und alles was ich an den Nachbartischen gesehen habe, hat hervorragend ausgeschaut. Alle waren sehr freundlich zu uns, obwohl hier niemals Kinder zu Gast sind. Woran das zu bemerken ist? Es gibt keine Hot chocolate, was eine katastrophale Nachricht für Marlene (und uns, weil wir ebenfalls direkt betroffen waren) war, unser Kinderwagerl musste ich zusammenklappen und irgendwo so verstauen, dass es niemand sehen kann. Sicher wegen der gestörten Optik.

Das gesamte Personal ist mir wie im Halbschlaf vorgekommen. Vielleicht, weil sie so ruhig waren. Die Kellner waren in wichtiger Mission unterwegs, viele trugen Vollbärte, unser erster eine Riesenbrille über seinem ernsten kleinen Gesicht. Sie hatten riesige Tätowierungen am Leib. Überhaupt schauten die meisten aus wie Halbstarke. Hipsterkultur. Und fast alle waren schwul, vermute ich. Übrigens ist das East Village ein Zentrum schwuler Kultur.

Die Kids sind ganz schön in Fahrt gekommen, wohl eine Folge der Hitze, Marlene kugelte auf der Sitzbank herum, wütete am Tisch, Luis hämmerte gegen die filigrane Glasscheibe unseres kleinen Kompartments. Dann begann Luis durch den Speisesaal zu krabbeln, Marlene hinterher, auf allen vieren. Wir versuchten, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Vergebens. Wie gesagt, man war in dem Lokal höchst zuvorkommend zu uns. Aber ich weiss mit Bestimmtheit, dass die Kellner heilfroh waren, als wir wieder draußen waren. Sogar wir waren das.

Zu Mittag haben wir Ähnliches wie am Morgen erlebt. Ohne uns viel zu erwarten und ohne lange zu suchen, sind wir in das nächstbeste Lokal mit dem schlichten Titel B. Bar & Grill (Ecke Bowery/4th Street) hineingestolpert, sehr amerikanisch auch dieses. Wieder haben wir das Wagerl im letzten Eck verstecken müssen, die Kinder waren von der Hitze und vom Hunger schon ziemlich fertig und haben ihr Bestes gegeben, dass wir aus dem Lokal geschmissen werden. Trotzdem haben wir ausgezeichnete Dinge gespeist: Ich, ganz Frauengericht, einen Tuna Nicoise-Salat, mit wunderbar zarten Fisolen, den besten Oliven, die ich seit langem gegessen habe und einem tadellosen Thunfisch, mit Pfefferkruste leicht gebraten, innen fein rosa. Eigentlich habe ich nur die Pfefferkruste bekommen, weil Luis den Rest gegessen hat. Und Marlene hat Anton den Burger und die Pommes (Männergericht) weggeschnappt, den er ebenfalls ausgezeichnet gefunden hat. Übrigens: In New York haben wir die besten Pommes Frites bekommen und ich kann sehr gut verstehen, dass so viel von dem Zeug gegessen wird. Die meisten Lokale, in denen wir waren, bereiten sie selbst zu.

Hervorheben muss ich unbedingt noch die tolle Salatkultur, die ganz nach meinem Geschmack ist. Die Amerikaner machen oft Mischungen aus salzig/sauer und süß. Es finden sich oft Beeren, Orangen, karamellisierte Nüsse und Käse oder andere wunderbare Dinge im Salat.

Als Nachspeise waren wir dann noch, gleich ums Eck, in einem Bürgerhaus aus dem 19. Jahrunderts, das zum Museum umgestaltet wurde. Ein schräges Museum, dieses Merchant’s House Museum. Als 1933 das letzte der Familienmitglied der reichen Bürgersfamilie starb, wurde das Haus, so wie es war, also mitsamt Einrichtung, zum Museum erklärt. Und genauso wie vor 80 Jahren schaut das Haus/Museum auch heute aus. Alles ist Schaustück. Didaktik, Bildschirme oder moderne Präsentationstechnik gibt es keine. Das Haus voller Möbel, Einrichtungsgegenständen und Bilder lädt ein zum Geschichten erzählen. Marlene war ganz fasziniert. Ohne Klimaanlage stiegen wir in die engen Stiegen vom Keller bis ins vierte Stockwerk. Es wurde immer heißer. Ganz oben, in einem kleinen Kabuff wohnten die Bediensteten, natürlich die, und nicht die Herrschaften, die sich im Sommer wohl auf Long Island oder auf einem kühlen Landsitz vergnügten.

Wie wir nach diesem Besuch bemerkt haben, ist dieses kleine Museum das Gegenstück zum weit größeren Tenement Museum, das die Geschichte der ärmsten Einwanderer erzählt und nicht weit entfernt liegt (und das wir vor Wochen besucht haben). Erzählt wird auch hier Sozialgeschichte anhand eines einzelnen Hauses, das mehr oder weniger 1:1 erhalten ist. Aber im Tenement Museum wird nichts den Besucher selbst überlassen. Besuchen kann man das Haus nur mit Führungen, die thematisch in einzelne Aspekte einführen. Wir haben damals weniger eine Führung als vielmehr eine theatralische Aufführung besucht, bei der eine Schauspielerin ein junges spanisches Migrantenmädchen spielt und das uns durch „ihre“ beengte Wohnung geführt hat. Und im Gespräch mit den Besuchern vom Alltag und den Nöten der Einwanderer in der Lower East Side erzählt hat. Sehr berührend war das für mich. Marlene hat das Ganze auch sehr gut gefallen.

Now it’s time to say good-bye. Obwohl nicht ganz: denn wir wollen noch einige Dinge im Blog ergänzen. Zum Beispiel möchten wir über die Rockefellers schreiben, die als Mäzene überall auftauchen, oder die Astors und Carnegies und wie die Superreichen aus vergangenen Tagen alle heißen, die das Stadtbild und die Erinnerung der Stadt so stark geprägt haben und die uns immer wieder begegneten. Und es gäbe noch sooo viele Dinge zu tun hier und zu sehen und zu erleben. There’s still so much to do, wie Olivia das Zeichentrickschweinchen, ein weiterer von Marlenes Lieblingen, die sie hier entdeckt hat, jeden Abend beim Schlafengehen singt.

Staunen, staunen – die Dioramen im Museum of Natural History

Die Stadt und wir stöhnen unter der Hitze. Am besten also wieder die Flucht in ein gut gekühltes Museum. Das Museum of Natural History liegt auf der Upper West und ist ein wunderbarer Fluchtort, um einige Stunden in kühlen Räumen zu verbringen. Das Museum ist ein gewaltiger Komplex, der mehr als 20 ineinander verschachtelte Gebäude verbindet. Ein Bau liegt direkt am Central Park und erstreckt sich von der 77 bis zur 81sten Straße. Wie wichtig dieses Museum ist, merkt man nicht nur daran, dass es eine U-Bahnhaltestelle gleichen Namens, verziert mit wunderbaren Mosaiken mit Motiven aus der Fauna unserer Welt, gibt. Von dieser Station aus geht man, ohne vom Untergrund aufzutauchen, direkt zur Tickethalle. Bei seiner Gründung erhielt das Museum einen prominenten Bauplatz am Central Park . Es wurde 1877, ein Jahr vor dem Metropolitan Museum errichtet, das auf der anderen Seite des Parks liegt. Eine Art Spiegelbild. Die beiden großen Museen bieten Platz für die zwei großen bildungsbürgerlichen Erzählungen des 19. Jahrhunderts: Kunst und Wissenschaft.

Wir waren schon einmal hier gewesen. Gleich am ersten Tag nach unserer Ankunft im Museum of Natural History. Noch ganz benommen von der Reise und den Millionen Eindrücken, die wir auch gar nicht verarbeiten konnten, Marlene im Jet-Lag-Tiefschlaf, sind wir quasi alleine durch das Museum gestolpert. Wir waren von den historischen Dioramen so angetan, dass wir uns vornahmen, noch einmal zu kommen – auch der Kinder wegen, die nichts von den herrlichen Schaustücken mitbekommen haben. Das Museum eignet sich sehr gut für einen Besuch mit Kindern, da es Vieles bietet, das Kinder anspricht. Diese dürfen hier fast alles, was sie zwischen die Finger kriegen können, anfassen. Die Objekte sind so geschützt, dass man ziemlich ohne Stress unterwegs ist. Und das Museum ist riesig, sodass einem beim wiederholten Besuch nicht fad wird.

Wir hätten bequem (einmal umsteigen) anreisen können. Aber Edith wollte vorher noch in einem Laden am Broadway einkaufen und so sind wir bis zur Ecke Broadway/110te Straße mit dem Bus gefahren und dann, weil der Morgen so schön war, ein Stück zu Fuß gegangen. Edith mit ihren Strandsandalen, die sie der Hitze wegen angezogen hat. Aus dem kleinen Spaziergang wurde, weil das Spazieren am Broadway so abwechslungsreich war, ein längerer Gang. Ais wir zum angepeilten Laden kamen, hatten wir rund 40 Straßen (vierzig!) durchquert. Etwa in der Mitte der langen Strecke frühstückten wir, dann gings weiter. Am Ziel angelangt, war in Edith die Gewissheit gereift, neue Schuhe kaufen zu müssen, da das Strandschuhwerk Striemen hinterlassen hat.

Der Broadway – ich schweife kurz ab – ist ein Straßenzug, den man, ob man will oder nicht, in Manhattan immer wieder ein Stück entlanggeht. Kein Wunder, führt er doch von der äußersten Südspitze Manhattans quer durch die Stadt ganz in den Norden, über 25 Kilometer lang ist er insgesamt. Und diese Straße ist im geometrischen Gitternetz Manhattans die einzige große Längsachse, die sich nicht an die rechten Winkel hält, sondern den Stadtteil immer wieder schräg durchquert. Die Straße der Unterhaltung und der Theater ist der Broadway nur an einer kurzen Stelle, rund um den Times Square, etwa von der 40sten bis zur 57 Straße. Vorher und nachher ist er meist eine populäre Geschäftsstraße, die mehrmals ihr Gesicht verändert. Businesslike und gesäumt von Hochhäusern im Finanzdistrikt und in Midtown, dann wird sie etwas ruhiger. In der Upper East Side liegen links und rechts des Broadway noble Wohngegenden, weiter draußen in Washington Heights wird sie zur bürgerlichen Wohnstraße, um schließlich ganz am nördlichen Ende in den Highway 9 zu münden.

Der Broadway ist das Überbleibsel der ältesten Nord-Süd-Verbindung der Stadt, die, so wird berichtet, schon vor der Ankunft der europäischen Siedler und Eroberer existierte. Ihr Verlauf wurde nach der Planung des gitterartigen Straßennetzes im Jahr 1811 teilweise beibehalten. Das und vieles mehr über die Stadtentwicklung und die Errichtung des eindrücklichen Straßennetzes New Yorks haben wir vor einiger Zeit  in einer hochinteressanten Ausstellung mit dem Titel „The greatest grid. The Master Plan of Manhattan 1811-2011“ im Museum of the City of New York gelernt. Hier ein Artikel dazu in der New York Times.

Doch zurück zum Museum of Natural History. Wir steuerten sofort wieder die gemalten Dioramen an, die einzelne Tiere oder Gattungen in einer faszinierenden Bühnenarchitektur zur Anschauung bringen. Die verglasten Schaukästen sind teilweise 2-3 Meter hoch und bis zu 5-8 Meter breit. Die Tiere, die in diesen Kästen stehen, sind täuschend echt nachgebildet. Auch die Umgebung, der Boden, die Felsen, der Dschungel, die Wälder und Grasflächen sind 1:1 nachgebildet. Hinter den Tieren, die oft in dramatischen Szenen aufgebaut sind, die Elche etwa sind mitten in einem Gerangel festgehalten, ist ein leicht gewölbtes Gemälde zu sehen, das aus dem nachgebildeten Gelände hervorzugehen scheint. Der Effekt dieser „Bilder“ ist spektakulär und kaum zu beschreiben. Die Szenen üben einen gewaltigen visuellen Sog aus. Vor der Bühne der Bisons etwa oder vor den Bären, den Gorillas, den Tigern etc. mussten wir lange stehenbleiben. Faszinierend sind diese Installationen auch für Kinder. Marlene war am Nachmittag müde und quengelig, kaum aber stand sie vor der ersten Vitrine, war sie mit einem Schlag hellwach und kam, ebenso wie Luis, aus dem Staunen und Schauen nicht mehr heraus.

Die Dioramen werden im Museum ohne viel Kontextinformationen gezeigt. Über die Künstler erfährt man nichts (erst auf der Webseite des Museums findet sich dazu ein kurzer Eintrag), die Entstehungsgeschichte der Dioramen wird in der Ausstellung nicht thematisiert, obwohl diese sehr spannend ist. In den 1930er Jahren, so habe ich anderswo nachgelesen, hat man begonnen, die großen Schauräume des Natural History Museums mit Dioramen auszustatten. Die Präsentationstechnik war sehr teuer und so wundert es nicht, dass praktisch jeder der großen Kästen einen privaten Mäzen hatte, dessen Namen im hölzernen oder metallenen Rahmen verewigt ist. George Eastman etwa, der Gründer und Inhaber des Kodak-Imperiums, sponserte beispielsweise eine Afrika-Szene, in der u.a. Zebras zu sehen sind. Oder eine Büffelherde in der nordamerikanischen Prärie.

Das Diorama ist eigentlich eine Schau- und Unterhaltungstechologie, die aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts stammt (sie wurde vom Erfinder der Fotografie, Daguerre, entwickelt und kommerzialisiert). Damals bestand das Schaustück aus einer beidseitig beleuchtbaren Leinwand, die Szenen und Effekte (historische Themen, Städte, Landschaften etc.) wie im Theater inszeniert. Davon ist hier nicht viel übrig geblieben. Im Museum of Natural History ist aus dem historischen Diorama eine museale Präsentationskunst geworden, die die Effekte des überdimensionalen Gemäldes mit der täuschend echten Nachbildung von Objekten (hier Tieren) kombiniert. Eigentlich ist es eine Art 3-D-Technik, irgendwo zwischen den Riesenrundpanoramen und den Stereoprojektionen angesiedelt.

Die ältesten Dioramen im Museum stammen, wie gesagt, aus den 1930er und 40er Jahren, aber die Technik wurde im Museum bis zur Wende ins 21. Jahrhundert fortgeführt. Um ehrlich zu sein, ich finde, dass die jüngeren Gemälde qualitativ deutlich abfallen. Im Raum „Biodiversity“, den wir wegen des überdimensionalen (oder besser 1:1 nachgebildeten) Wals besuchten, der mitten im Raum schwebt, wurden die Dioramen erst in den letzten Jahren hergestellt. Meine Meinung: Nichts gegen die 40 Quadratmeter großen Dioramen, die die amerikanischen Bisons und die Mammuts zeigen. Wie auch immer: Man kann den Blick kaum von den Szenen lösen und scheint mitten in das Geschehen einzutauchen. Ich könnte endlos vor diesen Vitrinen stehen und schauen und schauen und schauen. Zum Informieren, Lesen und Lernen kommt man im Halbdunkel dieser Räume nicht. Aber das macht nichts.

Übrigens: eines der beiden Titelfotos unseres Blogs zeigt ein Diorama im Museum of Natural History. Frage: Um welches Tier handelt es sich?

Entdeckungen in Astoria

Gestern haben wir einen der wunderbarsten Blicke auf Manhattan geworfen, den es wohl gibt. Denselben Blick beschrieb in den 1930er Jahren der Journalist, Architekturkritiker (für den „New Yorker“) und Kulturhistoriker Lewis Mumford, als er in einer Kolumme für den New Yorker schrieb: “Here is one of the few places where one can see New York across a foreground of verdure and water, and it must be counted one of the most dazzling urban views in the world“ (Robert Wojtowicz (Hg.): Sidewalk critic. Lewis Mumfords wiritings on New York, New York 1998).

Diesen spektakulären Blick gewährt die Fahrt über eine Brücke die bis vor kurzem Triborough Bridge genannt wurde (jetzt R.F.K., Robert F. Kennedy), die die Stadtteile Bronx, Manhattan und Queens verbindet. Die Zufahrt zu dieser Brücke liegt nicht weit von uns zu Hause in Spanish Harlem entfernt, ein paar Straßen stadtauswärts. Doch kein Mensch geht über sie zu Fuß, weil sie nur für Autos gemacht wurde. Der Erbauer? Der mächtige Stadtplaner Robert Moses, der ab den 30er Jahren Autobahnen durch die Stadt schlug, für die Slumbereinigung zuständig war, aber auch für den Bau von Parkanlagen und Stränden. Entsetzliche, aber auch manche gute Auswirkungen hatte die Vision dieses umsetzungsstarken Mannes für New York.

Mehrfach musste die Ausführung dieser großen Brücke unterbrochen werden – die Wirtschaftskrise und Umplanungen erzwangen die Unterbrechungen. Fertiggestellt wurde sie 1936 und sie ist genau genommen nicht nur eine, sondern drei Brücken.

Wir haben uns also aufgemacht in den Stadtteil Queens, genauer in die Gegend namens Astoria, die von uns aus erdenklich einfach erreichbar ist (obwohl sie auf der anderen Seite des East River liegt). Wir stiegen in den Bus Nr. 60 ein (den wir schon öfter benutzten), der zum La Guardia Flughafen fährt und stiegen einfach auf der anderen Seite der ewig langen Brücke, die einen Zwischenstopp auf einer Insel namens Roosevelts Island macht, aus. Und bevor ich verrate, was unser eigentliches Ziel war, halten wir uns noch ein bisschen bei Astoria auf. Warum heißt dieser Teil von Queens, das im übrigen zwei Millionen Einwohner zählt, Astoria? Wieder begegnen wir einem der reichsten Männer der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: John Jacob Astor. Wikipedia fasst in zwei Sätzen zusammen, dass er seine Karriere als Fellhändler begonnen hat, dabei einen unglaublichen Expansionsdrang entwickelte, dann ins Opiumbusiness eingestiegen ist und sich danach im Immobiliengeschäft umgetan hat. Später wurde er ein berühmter Kunstsponsor. Er war zu seiner Zeit der reichste Mann Amerikas.

Spendabel hat er sich aber keineswegs gezeigt, als es um den Stadtteil Astoria ging. Man wollte ihn nämlich dazu bewegen, 2000 Dollar zur Entwicklung des Viertels beizutragen, im Gegenzug hat man ihm versprochen, dass er sein Namenspatron werden sollte. Astoria heißt nun nach Astor, der reichste Mann seiner Zeit gab dafür läppische 500 Dollar. Er soll niemals auch nur einen Fuß in Astoria gesetzt haben, weil im die Gegend zu minder war.

Nun gut, unser eigentliches Ziel war das Museum of the Moving Image, das einzige Kinomuseum der USA. Wundersam im Land des Kinos. Nicht zufällig liegt das Museum in Astoria. Ich zitiere wieder Wikipedia: Astoria also figured prominently in early American filmmaking as one of its initial centers, a heritage preserved today by the Museum of the Moving Image and Kaufman Astoria Studios. Ab den 1930ern ist es aber dann bergab gegangen mit den Filmstudios in Astoria. Die Filmproduktion verlagerte sich nach Los Angeles: die große Zeit Hollywoods brach an. Heute wird wieder heftig gedreht in Astoria: von Werbefilmen bis zum Blockbuster wird alles produziert. Nebenbei bemerkt: In New York ist überhaupt sehr spürbar, dass man sich einem Zentrum der Filmindustrie bewegt. Über 130.000 Jobs hält sie bereit, wie ich Plakaten entnommen habe.

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Untergebracht ist das Museum in einem der 13 Gebäude der früheren Astoria Filmstudio Komplexes. Das Museum existiert seit 1988, wurde aber 2011 von Leeser Architecture vollkommen neu gestaltet  – gekleckert wird bei denen nicht. Ich war beeindruckt. Die Ausstellungen haben mich nicht ganz überzeugt. Es gibt wunderbare Dinge wie alte kinematographische Apparate und einiges an Hands-on-Möglichkeiten und ein Besuch lohnt sich (wenn man ausreichend Zeit für New York hat), auch wegen der Architektur, aber trotzdem gibt es hier nichts Ungewöhnliches oder Überraschendes zu sehen. Das Filmprogramm ist aber auf jeden Fall einen Besuch wert. Im Juni gab es unter anderen einen Glawogger-Schwerpunkt.

Danach sind wir durch Astoria gestreift, den Broadway entlang Richtung East River – es ist ein anderer Broadway, der sich ebenso verwandelt wir der Namensvetter in Manhattan, auch wenn er weit weniger glitzernd ist. Zuerst eine einladende, nette Geschäftsstraße, die in eine Wohngegend übergeht und schließlich in einem Industrieareal am Fluss endet. Faszinierend, dieses Viertel. So ethnisch gemischt hatten wir New York noch nirgendwo erlebt. Allein das Flanieren an den Lokalen und Geschäften entlang vermittelt ein Gefühl von Internationalität. Da gibt es Griechen (in Astoria ist die griechische Community besonders stark vertreten), Bosnier, Inder, Kroaten, Italiener, Süd-und Mittelamerikaner aller Richtungen, Spanier, Tschechen und Slowaken und und und.

Dort, wo der Queens-Broadway ins Wasser fällt, liegt der Socrates-Sculpture-Park, der sehr für einen Besuch mit Kindern zu empfehlen ist. KünstlerInnen haben sich hier in den 1980er Jahren aus einer Müllhalde und Industriebrache eine Art Community Garden geschaffen, sie arbeiten hier und stellen aus. Es ist kein hübscher, wohlgepflegter Garten à la Botanical Garden, sondern ein eher wildes Areal, das zum Herumstreifen, Entdecken und einfach in der Wiese Liegen einlädt. Und das alles unmittelbar am Wasser, mit herrlichem Blick auf Manhattan. Kein Eintritt, kein Aufpasser steht in der Gegend herum und sagt, dass die Kinder irgendwas nicht dürfen. Herrlich! Wenige Schritte entfernt liegt ein anderer Künstlergarten, Noguchi. Eine unbedingte Empfehlung von Freundin Verena. Er soll ganz wunderbar kontemplativ sein, hatte aber an diesem Tag gerade geschlossen.

Der Rückweg zur Busstation zog sich, wir waren schon müde, etwas in die Länge. Da tauchte plötzlich, in einem kulinarischen Niemandsland, ein Lokal vor unseren Augen auf, das es uns angetan hat. Es heißt, wie könnte es anders sein, Astor Bake Shop. Eine Mischung von Kaffeehaus, Kneipe und Restaurant.

Die Kuchen waren köstlich, der Kaffee war gut. Gestärkt und beschwingt gingen wir die letzten Schritte und stiegen wieder in unseren Bus ein. Wieder hingen wir, kaum hatten wir die Brücke erreicht, an den Fenstern, um einen Blick auf Manhattan zu ergattern. Zu sehen ist nämlich fast das ganze Ufer von Downtown bis zur 90sten Straße und ein Meer an Skyscrapern. Ein schöner Tag.

Das Leben der Bücher – Bookstores in New York

Buchhandlungen mit Kleinkindern zu besuchen, ist nicht einfach. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wenn man, wie wir, zu viert unterwegs ist: erstens, beide Kinder sind wach: dann bleibt nur die Kinderbuchabteilung, sofern sie groß genug ist, um für die Juniors Unterhaltung zu  bieten. Zweitens, ein Kind schläft, der andere Erwachsene kümmert sich um das andere Kind. Ein Erwachsener kann dann eine zeitlang in Ruhe schmökern. Drittens, ein Kind schläft, der andere ist mit Kind zwei außerhalb der Buchhandlung unterwegs (z.B. am Spielplatz). Viertens, das wäre der Idealfall, schlafen beide Kinder und beide Erwachsenen können sich in Ruhe umsehen.

Fall vier ist bei uns einmal eingetreten. Wir haben gar nicht damit gerechnet und wollten am Ende eines Tages einen Erholungskaffee bei Barnes & Noble einnehmen. Irgendwann haben wir dann endlich kapiert, dass das unsere große Chance ist und sind aufgesprungen wie von der Tarantel gestochen und sind durch die ganze Buchhandlung gerast, um das gesamte Sortiment zu sichten. Fall zwei selten. Fall drei haben wir uns ein, zweimal organisiert. Ihr versteht, Buchhandlungen sind für die Familie mit sehr kleinen Kindern eher ein schwieriges Terrain. Immerhin aber haben wir uns vom Versuch nicht abhalten lassen und einige Bookstores besucht. Die ganz kleinen Buchhandlungen mit den engen Verkaufsgängen hätten wir zwar geliebt, aber eher gemieden (wegen des Manövrierens des Kinderwagens, des Abräumens von Präsentationstischen, aber auch wegen der Klaustrophobie zu viert auf engem Raum). Aber von außen betrachtet: es gibt ganz wunderbare kleine Buchläden in New York. Etwa eine reine Kochbuchhandlung auf der Lexington Avenue, Architekturbuchhandlungen, Reisebuchhandlungen oder, für mich (Anton) interessant, eine Fotobuchhandlung, Dashwood Books, 33 Bond Street (zwischen Lafayette Street und Bowery).

Für uns kamen aus besagten Gründen eher die großen Stores in Frage. Z. B. Barnes & Noble, jene Kette, die in New York (ebenso wie in den USA insgesamt) den Buchhandel beherrscht. Eine zeitlang haben wir uns im Barnes & Noble in der Upper West Side (82nd Street) umgesehen, dann entdeckten wir die noch größere Filiale am Union Square, gerade richtig für uns. Denn nicht weit vom Geschäft entfernt, direkt am Platz, gibts einen kleinen, tollen Kinderspielplatz. Das dreigeschoßige Geschäft (mit integriertem Café, das es in fast allen Filialen gibt) ist eine richtige Mainstream-Buchhandlung (so wie bei uns Thalia), aber so groß, dass sich auch entlegenere Fachgebiete finden. Einige Beobachtungen: Auffällig gut vertreten ist der Bereich Self-Improvement. Auf sieben Regalen findet man garantiert genau die Hilfe zur Selbstverbesserung, die man sucht (oder auch nicht). Im Kochbuchbereich sind der saisonale Hit ungezählte Bücher mit Grillrezepten. Einer dieser Barbecuerenner ist am Boden gestapelt gewesen: 50 Exemplare! Ebenso prominent vertreten ein Kochbuch zur amerikanischen Küche von der Martha Stewart. Übrigens schlägt sich der Trend zum Veganen nicht nur in unzähligen Lokalen nieder, sondern auch in ganzen zwei Regalen für vegetarische und vegane Küche.

In allen Läden der Barnes & Noble-Kette stolpert man im Erdgeschoß gleich auf den Nook-Stand zu, wo der E-Book-Reader der Kette angepriesen und verkauft wird. Seit 2009 ist Barnes & Noble massiv in dieses lukrative Geschäft eingestiegen und hat einen eigenen Reader entwickelt, gewissermaßen ein Konkurrenzprodukt zum marktbeherrschenden Kindle-Reader von Amazon.

Apropos Konkurrenz und Markt: Amazon, 1994 gegründet, brachte 2007 den Kindle E-Book-Reader auf den Markt und beherrscht inzwischen mit 55 bis 60 Prozent Marktanteil (2010) den us-amerikanischen E-Book-Markt (Quelle: Steve Wassermann: The Amazon-Effect, in: The Nation, June 2012). Barnes & Noble holt aber von Jahr zu Jahr deutlich auf, u.a. mit Hilfe einer gewaltigen Finanz- und Technologieunterstützung, die Microsoft der Kette soeben zugesagt hat. Überhaupt ist der Anteil der E-Book-Reader in den USA weit größer als in Europa. 2011 lag der Anteil der E-Book-Einnahmen amerikanischer Verlage bereits bei 36 Prozent, Tendenz stark steigend (also weit über dem europäischen Schnitt). Auf dem E-Book-Reader oder dem Tablet-Computer wird hier alles gelesen: Bücher, Zeitungen, Magazine etc. In der U-Bahn schlägt kaum jemand die Zeitung aus Papier auf. Wer Zeitung oder Bücher liest (besonders viele sind es in der Öffentlichkeit nicht), tut dies am Bildschirm. Bücherleser sind in der U-Bahn kaum mehr zu sehen.

Bei unseren Spaziergängen durch New Yorks belebte und beliebte Gegenden haben wir bemerkt, dass eines hier meist fehlt: Buchhandlungen. In East Harlem beispielsweise gab es bis vor kurzem keine einzige Buchhandlung. Soeben hat ein kleiner Laden eröffnet. Ob er überlebt? Zu dieser Situation haben Amazon und Barnes & Noble, jeder auf seine Weise, seit den 1990er Jahren sehr viel beigetragen. Die Buchhandelskette eröffnete Megastores oft bewusst in der Nähe alteingesessener Buchhandlungen, die in der Folge aufgeben mussten. Vor zwanzig Jahren gab es in den USA noch rund 4.000 unabhängige Buchhandlungen, inzwischen sind es nur mehr 1.900. Zum Vergleich: In Deutschland gab es 2012 mehr als 3.500 unabhängige Buchhandlungen, allein in Berlin sind es mehr als 300. In den letzten beiden Jahrzehnten hat Barnes & Noble seine Vorherrschaft am US-Buchhandelsmarkt massiv ausgebaut. Die Kette betreibt mit Stand 2012 genau 1.232 Stores in den USA und Kanada. Auch der große Gegenspieler, Amazon, hat mit der Verlagerung des Geschäfts ins Internet und mit Preisdumping sein Schärflein zum Verschwinden der kleinen Buchhandlungen beigetragen.

Nur ein paar Schritte von Union Square entfernt, am Broadway, liegt die Buchhandlung Strand Bookstore. Ebenfalls riesig, aber doch ganz anders als Barnes & Noble. Kein modischer, lichter, schicker Shop, sondern eine Wucht. Auf den ersten Blick schiere Unordnung, Bücher oft hintereinander, übereinander, nebeneinander gestapelt – wo halt Platz ist. Ein Bergwerk an Büchern. Endlose Regale, anscheinend 18 Meilen, verteilt über drei Stockwerke. Ganz oben ist das moderne Antiquariat. Sehr gut sortiert. Und interessant für mich im Bereich Fotografie: neue und gebrauchte Bücher stehen nebeneinander im Regal. Praktisch, das erleichtert das Suchen. Die Auswahl ist gewaltig, die Hilfsbereitschaft der Buchhändler ist groß, ihre Kompetenz (ich konnte das in einem Verkaufsgespräch verfolgen) groß.

Und noch eine Buchhandlung hat uns gefallen, eine richtig schön altmodische, eine, die wohl ebenfalls bald verschwinden wird: Rizzoli (31 West 57th Street  New York, in der Nähe der 5th Avenue, also nicht weit unteren rechten Eck des Central Parks entfernt), wurde 1964 vom italienischen Verlag Rizzoli gegründet. Seit 1985 ist die Buchhandlung an der heutigen Adresse. Auf der Internetseite von Rizzoli wird ein Autor  mit den Worten zitiert: „Everyone in New York City speaks about Rizzoli with a particular reverence. It is a strangely nostalgic reverence—a nostalgia for something wonderful from a fine bygone era, something that no longer exists anywhere else.” Das stimmt wohl. Aber ob man in Zeiten des E-Books von Nostalgie leben kann – mal sehen. Jedenfalls waren die wenigen Bücherkäufer, die wir sahen, eher älteren Semesters. Gediegene, elegante Gestalten, die gewiss das exklusive Ambiente schätzen und wohl lieber Bücher als E-Book-Abonnements nach Hause tragen.

Und zum Schluss noch einen Blick in die New York Public Library, auf der 42nd Street gelegen, eine der schönsten Bibliotheken weltweit. 1911 wurde die Bibliothek eröffnet, um im Geist der Aufklärung und der Bildung allen New Yorkern Wissen zugänglich zu machen. Diese Aufgabe erfüllt sie auch heute noch, als Zentrale unter den öffentlichen Bibliotheken der Stadt. In allen Bezirken gibt es zudem Filialen. Beeindruckend ist der riesige Lesesaal, der ganz oben im dritten Stock untergebracht ist. Diese eigentümliche Lage hat triftige Gründe: hier oben ist es hell und ruhiger als im Erdgeschoß, wo der Straßenlärm hereindringt und die Besuchermassen zu hören sind. Stimmt, denke ich, als ich an den Lesepulten entlang spaziere. Hier ließe es sich wunderbar lesen. Und noch etwa zeichnet die NYPL aus: sie hat Platz für Kinder. Im Untergeschoß findet sich ein großer Raum, in dem Kinder ganz nach Belieben spielen und lesen können.

Marlene und Luis waren kaum dazu zu überreden, die Lesestunde zu beenden.

Making Money – Begegnung mit der Leopardin im Chelsea Market

Wir haben sie nicht gleich bemerkt, weil wir damit beschäftigt waren, die Kinder unter Kontrolle zu halten: Luis war gerade dabei, mit einem Handgriff, so schnell wie ein Zauberkünstler, unsere Pappbecherkaffees gefüllt mit unsinnigerweise brennend heißem Kaffee, zu schnappen und über sich zu ergießen. Und Marlene bewahrten wir davor, dass sie gemeinsam mit dem Barhocker umfiel, den sie gerade dabei war zu erklettern, direkt in eines der mit Shortbread gefüllten Regale, die so knapp beieinander gestanden sind, dass sie umgefallen wären wie die Dominosteine. Irgendwann sind wir dann aber doch gesessen, Marlene hat ihre Hot Chocolate geschlürft, und erst später, als wir schon mitten im Gespräch mit der Leopardin waren, hat sie dann doch durch Experimente in der Trinktechnik die Hälfte verschüttet.

Und dann habe ich Luis ein Bussi auf seine Flauschhaare gegeben, aufgeschaut und gesehen, dass sie uns beobachtet. Ich weiss nicht mehr, was sie gesagt hat, wahrscheinlich weil ich es nicht verstanden habe. Und kaum dass sie zu reden begonnen hat, hat sie immer mehr gesagt und mehr und mehr und mehr und für mindestens 30 Minuten nicht mehr aufgehört zu reden. Ich bin immer näher gekommen und bin ihr dann mit offenem Mund gefolgt wie ein Kind dem Rattenfänger.

Wo waren wir überhaupt? Einem Rat Wandas folgend, den wir in der Zwischenzeit auch schon wieder vergessen hatten und den uns die Konsulatsdame Sylvia wieder in Erinnerung gerufen hatte, sind wir zum Chelsea Market gefahren, der einen ganzen Häuserblock zwischen 9th und 10th Avenue und 15th und 16th Streets einnimmt. Wir wussten nicht, was wir zu erwarten hatten. Ich habe mit einer Art Greenmarket gerechnet und war anfangs sehr enttäuscht, als ich von außen schon Modegeschäfte gesehen habe. Wir wunderten uns noch über das seltsam dunkle Gebäude, in das wir wie durch eine Art Maulwurfsgang eingetreten sind. Erst danach habe ich nachgelesen, dass es sich bei dem Gebäude um eine ehemalige Keksfabrik (der legendären Oreo-Kekse) handelt. Eigentlich war es ein ganzer Cluster von 20 Keksfabriken, die sich ab dem Jahr 1890 zusammengeschlossen hatten und als National Biscuit Company bis 1958 in Betrieb waren. Der große Gegenspieler von National Biscuit war die in Chicago ansässige American Biscuit. Diese beiden Keksungeheuer haben sich den riesigen amerikanischen Markt untereinander aufgeteilt.

Weiter drinnen im labyrinthischen Komplex sind wir dann auf die feinen Dinge gestoßen. Einige Keksmanufakturen, kein Wunder bei der Geschichte. Fast schon aus einem Pflichtbewusstsein heraus, weil mich sowas ja immer interessiert, habe ich mir die Sugar Cookies genauer angeschaut, die wirklich Prachtexemplare waren mit ihren kunstvollen Glasuren. Weiter vorne habe ich Anton knipsen sehen. Eine Bäckerei, in der man den Bäckern bei der Arbeit zuschauen konnte. Wir dachten, das war’s dann an interessanten Dingen, wir schauen noch kurz durch und dann gehen wir wieder.

Aber dann hat sich der Chelsea Market als Gourmettempel entpuppt und endlich haben wir’s auch kapiert. Bäckereien und Konditoreien oder besser Pastry Shops, der großartige Lobster Place, mit frischem Fisch, Sushi und Maki vor Ort zubereitet, ein Markt im Markt, von dem wir uns hervorragende Sushi geholt haben, die wir danach auf der High Line, ums Eck gelegen, verspeist haben. Richtig elevated haben wir uns dabei gefühlt (high) im wuchernden Pflanzenmeer über den Straßen und mit all den Köstlichkeiten.

Aber zurück zum Chelsea Market: Wir wollten einen guten Kaffee haben, unser ewiger und oft enttäuschter Wunsch, und sind bei Sarabeth gelandet, mit der wir zuerst gar nicht zufrieden waren, weil das Lokal (für unsere Bedürfnisse) viel zu eng war. Wie die Elefanten im Porzellanladen haben wir dann doch noch Plätze für uns freigetrampelt. Wie wir gleich darauf erfahren sollten, ist aber diese Bakery eine der ganz feinen und besonderen. Und hier sollte unsere Begegnung mit der Leopardin stattfinden.

Dort ist mein Blick, der über Luis‘ Flauschkopf hinweg auf sie gefallen ist. Eine Frau, im Leopardenkleid, wie ein Petticoat, und wie es das Klischee weiter will, mindestens drei Einkaufstaschen auf jeder Seite. Nachdem mein Blick auf ihr lag, hat sie, wie schon erwähnt, zu reden begonnen: Angela, Entrepreneurin aus Neuseeland. Was sie uns erzählt hat, war atemberaubend. Anfangs habe ich sie gar schlecht verstanden wegen ihres Kiwi-Akzents. Ohne Punkt und Komma hat sie uns nicht nur erzählt, dass sie vor acht Jahren beinah gestorben wäre und danach ihr Leben vollkommen verändert hat. Nachdem sie keine Kinder bekommen konnte, holte sie sich Hunde als Ersatz und wurde damit zur Unternehmerin. Und Hundebesitzer seien die besseren Menschen, ganz nebenbei. I’m an entrepreneur, sagte sie mehrmals. Und nach 30 Minuten war jeder Zweifel darüber ausgeräumt. Und wirklich. Sie hat schon ein richtiges Konglomerat an Businesses parallel laufen, darunter eine gut gehende Marke namens Hello Dolly, Zielgruppe Frauen. Hello Dolly ist: Besteck, Gartenwerkzeug, Sonnenhüte, Hauhaltsgeräte, alles schick und praktisch. Als Hello Dolly richtig gut lief, gründete sie in Neuseeland den erwähnten Dog Walk und Pet Care Service, also eine Art noble Hundepension, mit erlesener Betreuung für die Lieblinge: Biofutter und hervorragend geschultes Personal, handpicked, kümmert sich um das Wohlergehen der Tiere. Auch Chauffeurservice wird angeboten. Daneben betreibt sie eine Hundeboutique, die dem Tierliebhaber all das verkauft, was sein Liebster oder seine Liebste (Hund oder Hündin) braucht.

Zur Zeit ist sie, wie sie uns atemlos erzählte, in anderer Mission unterwegs. Sie reist nämlich das halbe Jahr in die spannendsten Städte der Welt, um dort Geschichten zu sammeln, die sie dann an Zeitschriften wie Vogue oder Elle verkauft. Themen sind: Hunde, Food, Inneneinrichtung und Shopping. Auch Interviews mit Berühmtheiten macht sie. Bei der ganzen Sache steigt sie pari aus, wie sie meint. Sie macht es, weil es ihr gefällt. Ihr Mann zu Hause hasst das Reisen, er rührt sich nicht von der Stelle und betreibt eine Farm mit Organic Food. Sie, Angela, ist ständig auf Achse, sechs Monate im Jahr. Sie gründet, erweitert, vernetzt, baut auf, streift ein, investiert und hat scheinbar auch noch die Energie, das alles und noch viel mehr uns Wildfremden zu erzählen. Irgendwann hab ich bemerkt, dass mir der Mund offensteht und ich ihn vor lauter Überwältigung auch nicht mehr schließen kann. Als sie dann ihre Einkaufstaschen gepackt und die Szenerie verlassen hat, haben auch wir Sarabeth’s taumelnd und augenreibend verlassen. Wie ein Tornado ist diese Frau über uns gekommen. Als wir wieder halbwegs bei Sinnen waren, haben wir, angesteckt von so viel Unternehmertum, im Handumdrehen dutzende Geschäftsideen entwickelt.

Mir fällt ein, dass mir vor ein paar Wochen, auf dem Fairfielder Markt ebenfalls eine Entrepreneurin kennengelernt habe. Wenn sie auch auf kleinerer Flamme gekocht hat (als Marmeladeproduzentin), hat sie doch auch das gleiche Faible fürs Business gehabt wie Angela. Auch sie hatte zusätzlich ein zweites Business, nämlich ein Modegeschäft in Manhattan, wie sie erzählt hat. Und vor ein paar Tagen sind wir in East Village in ein kleines Geschäft mit Zuckerln hineingeraten, auf der Suche nach Anreizen für die gehschwach gewordene Marlene. Aber nicht die Candys haben uns angezogen, sondern die vielen Farben der Gummistiefel, die in den Regalen standen. Wir kamen mit der Betreiberin des Shops ins Gespräch, einer jungen halben Japanerin, die uns – wir waren die einzigen Kunden und haben Candys um 3,57 Dollar gekauft – in aller Ausführlichkeit und voller Enthusiasmus ihr Geschäftskonzept erläuterte.

Candys verkaufen sich immer, meinte sie, bringen aber nicht viel Geld. Gummistiefel verkaufen sich vor allem bei Schlechtwetter. (In New York grassiert zur Zeit eine Gummistiefelmode: Kaum bewölkt sich der Himmel, stiefeln die Damen schon im Kautschukschuhwerk herum). Und sie habe auch Regenschirme im Angebot. Die rührige Unternehmerin hat sogar eine eigene Regenschirm-Linie nach japanischen Vorbildern entwickelt, die sie über das Internet verkaufen will. Die Dame hat erst vor einem Jahr angefangen, ob das Geschäft läuft, wissen wir nicht. Aber sie sprach davon, von den Gewinnen etwas in die Community zu reinvestieren, sprich zu spenden, nämlich an die Parkerhaltung in New York. Also: Verdienen und teilen.

Das unternehmerische Amerika ist also nicht nur ein Mythos. Kurz bevor Angelas sprühender Vortrag zu Ende war, hat sich Anton, unter dem Vorwand, ihre Kochbücher (ja, auch das vermarktet sie) bestellen zu wollen, ihren Namen geben lassen. Ich habe, nachdem ich ihr Gekritzel auf einem Stück Zeitung gesehen habe und ihr Bann von uns abgefallen war, sofort vermutet, dass das alles nur eine kolossale Erfindung war. Aber Angela gibt es wirklich. Anton hat nicht lange gebraucht um die Businesswoman im Netz zu finden. Was wird sie jetzt machen? Nightlife? Ein Milchbad im Jacuzzi? Oder jemand anderem von den Erfolgen ihres Geschäftslebens zu erzählen. Wer weiss.

Morrisania – Mit Jack durch die Bronx

Heute waren wir in der südlichen Bronx – in jener Gegend, in die vor 20 Jahren kein halbwegs vernünftiger Mensch einen Fuß gesetzt hat. Auch wir hatten die Bilder verwüsteter Häuser, vermüllter Straßen und gehäuften sozialen Elends vor Augen, als wir an die Bronx dachten. Zwar waren wir schon mehrmals in der Bronx, aber in den über jeden Zweifel erhabenen Teilen, im Bronx Zoo, im herrlichen botanischen Garten (den wir gleich zweimal besuchten), in Little Italy.

Heute waren wir also in der anderen Bronx. Eigentlich spechtelte ich (Anton) bereits seit Wochen über den Harlem River, der von unserer Wohnung aus gesehen, einige Straßen stadtauswärts Manhattan von der Bronx trennt. Wir hätten auch über eine der Brücken spazieren können, aber auf der anderen Seite sahen wir nur Industriebrachen – wenig einladend. Vor zwei Tagen las ich in der New York Times folgende kleine Ankündigung: „Morrisania: From Suburbia to the Grand Concourse (Sunday). This two-mile-walk in the Bronx, sponsored by the Municipal Art Society, will focus on the redevelopment of the neighborhoods of Mott Haven, Melrose and Morrisania. It begins at 10 a.m.“ Klang einladend, wir meldeten uns an und fuhren zum vereinbarten Treffpunkt, Ecke Freeman Street/Southern Boulevard. Einige Teilnehmer der Walk-Gruppe waren schon da. Durchwegs ältere Herrschaften, mehr Männer als Frauen. Ich hielt sie für alleinstehende Intellektuelle, Edith eher für lonely Pensionisten. Jedenfalls: Luis war eindeutig der jüngste, aber sogar Edith und ich bewegten uns deutlich unter dem Altersschnitt.

Jack, unser Walking-Tour-Guide, ein unscheinbarer Mittsechziger, hätte man den promovierten Urban Geographer nicht angesehen. Den geschichtlichen Abschnitt über die Bronx trug er unter der donnernden U-Bahn vor, sodass ich nicht ein Wort verstand, Edith auch nicht, und die anderen auch nicht. Sogar für Jack muss dieser Vortrag unter der U-Bahnbrücke sehr unangenehm gewesen sein, weil er nicht nur sein eigenes Wort nicht mehr verstand, sondern auch sein Hörgerät übersteuerte, wenn das Getöse der Subway anhob. Dass Morrisania, wie die südliche Bronx auch genannt wird, auf die mächtige Dynastie der Morris zurückgeht, die Ländereien in dieser Gegend besaßen, habe ich später im Internet nachgelesen.

Das Grüppchen der etwa 20 New Yorker New York-Touristen setzte sich plötzlich in Bewegung, nein in Laufschritt. Für zweieinhalb Stunden sollten wir nicht mehr richtig zum Stillstand kommen. Im schnellen Schritt, von dem bereits in der Webankündigung die Rede war, durchwanderten wir die Bronx. Jack voran, wir hinterher. Jack stoppt, dankenswerterweise meist in einem Fleckchen Schatten, wir stoppen, sammeln uns (einige eilen noch herbei), Jack trägt vor, dann geht es eilig weiter. Die angekündigten zwei Meilen wurden auf diese Weise zu gefühlten vier. Wir hätten es zwar kräftemäßig und konditionell locker mit Pensionistenschar aufnehmen können, hätten wir nicht einen Kinderwagen zu schieben gehabt (die Bronx ist recht hügelig) und darin Marlene, die just heute Durchfall hatte. Das hieß: In Windeseile mehrmals Popo putzen, derweil Ausschau halten, an welcher Ecke der Trupp verschwindet, Windel drauf, Wagen ins Rollen bringen und hinterher hirschen. Edith blieb dankenswerter Weise in solchen Situationen etwas zurück, um mir Zeichen zu geben: hier entlang, da entlang.

Die Wanderung war höchst interessant. Und die Erläuterungen von Jack waren es auch, auch wenn er kein großer Vortragender ist (Edith meinte, er sei zwanghaft). Wir durchquerten eine Gegend, die noch vor 20 Jahren verwüstet war. Genau so wie man sich die Bronx gemeinhin vorstellt. Ein schwarzes Ghetto, ausgebrannte Häuser, Elend, Misere, Drogen, Gewalt und vieles mehr. Wir waren überrascht, als wir nicht einmal mehr Überbleibsel aus dieser Zeit sahen. Die Bronx sieht inzwischen ganz anders aus. Immer noch ist sie ein Stadtteil der unteren sozialen Schichten, aber sie ist zunehmend ethnisch und sozial durchmischt, viele neue Bauten, relativ viel Grün. Wir durchquerten z.B. den Crotona Park, der ein wenig an den Central Park erinnert.

Der architektonische und soziale Rückgewinnungsprozess dauert nun schon 20, 25 Jahre. Jack schilderte die Situation in der Zwischenkriegszeit und noch unmittelbar nach dem Krieg. Damals war die Bronx eine ethnisch gut durchmischte Gegend, in der Unter- und Mittelschichten in Reihenhäusern wohnten. Aber es gab auch Einfamilienhäuser, die noch aus dem späten 19. Jahrhundert stammen und von denen heute noch einige erhalten sind. Viele Juden lebten hier, aber auch alle möglichen anderen Religionsgruppen. In den 50er und 60er Jahren zogen viele jener Leute, die den sozialen Aufstieg geschafft haben, weg: nach Queens, nach Long Island, nach Brooklyn. Tausende von Leuten verließen innerhalb weniger Jahre die Bronx und es zogen unterprivilegierte, deklassierte Gruppen nach: v.a. Schwarze und Hispanics.

Dieser Bevölkerungstausch erfolgte sehr rasch. Er wurde durch städtebauliche Eingriffe beschleunigt. Zwischen 1955 und 1963 wurde auf Initiative von Robert Moses (wir sind diesem manischen Visionär der Stadtentwicklung schon einmal begegnet, nämlich bei der Errichtung der kommunalen Wohnanlagen) eine mehrspurige Autobahn, der Cross Bronx Expressway, durch die südliche Bronx gebaut, die katastrophale Folgen für das Viertel hatte.

Ganze Straßenzüge wurden abgerissen, die Verbindung zwischen der südlichen und der nördlichen Bronx wurde gekappt. Die südliche Bronx wurde vom Rest der Bronx getrennt und wurde zum Sozialfall.

Allmählich wurden die Bauten vernachlässigt, die Stadt investierte nichts mehr, die öffentlichen Einrichtungen, Straßen, Wege, Parks verwahrlosten. Gewalt kam auf, die sich mit den politischen Aufständen mischte (Black Power-Bewegung). Das Ganze dauerte bis in die 80er Jahre. Dann begann der Wiederaufbau. Der Müll wurde weggebracht, Häuser wurden renoviert. Aber es gibt immer noch viel Brachland in der Bronx. Niedergebrannte Häuser, deren Grund bis heute unbebaut ist.

Jack zeigte uns einige Beispiel dieser Rückgewinnungsanstrengungen. Es gibt z. B. eine Gegend, in der mit städtischen Hilfe in den 80er Jahren kleine Einfamilienhäuser für etwa 300 Familien gebaut wurden, alle eingebettet in viel Grün. Das war die allererste Maßnahme, versprochen von Ronald Reagan, dem damaligen Präsidentschaftskandidaten, die aber einmalig bleiben sollte, da man feststellte, dass so eine Bauweise im städtischen Raum doch recht unökonomisch ist.

Ein idyllisches Suburbia, wie Jack etwas sarkastisch meinte, aber leider ohne jegliche Infrastruktur. Eine Autosiedlung, die wie am Reißbrett entworfen wurde. Dann gibt es neue Reihenhäuser, in die die untere Mittelklasse Einzug hielt. Die südliche Bronx ist nicht mehr ausschließlich schwarz geprägt, sondern auch andere Gruppen leben nun hier. Viele Hispanics, aber auch junge Familien, die sich Manhattan nicht leisten können.

Während wir hinter Jack herrannten, um wenigstens noch jeweils die zweite Hälfte seiner Ausführungen mitzubekommen, kamen nette Smalltalks mit den Mitlaufenden zustande. „Ganz nach Deinem Geschmack, alle über 60“, meinte Edith. Und in der Tat: Ich fühlte mich pudelwohl: plauderte mit einer betagten Bibliothekarin der Soros-Foundation und deren Freundin. Weiters mit einer älteren Dame aus New Jersey, mit einer erschreckend düsteren Stimme, die mir erklärte, wie Wien vor 40 Jahren aussah. Interessant. Aber auch Edith plauderte, vermittelt über Luis, der in alle Richtungen gestikulierte, mal mit dieser, mal mit jenem. Etwa mit Sylvia, einer Österreicherin, die seit 45 Jahren in NYC lebt.

Sylvia heftete sich auf unsere Fersen, und verließ uns auch nicht, als Jack geendet hatte und uns in der Mittagshitze vor einem U-Bahnschacht entließ. Sylvia begleitete uns, solange sie konnte, und redete. Am Heimweg in der U-Bahn (ein Stück des Weges fuhren wir gemeinsam) erklärte sie mir ohne Überdruss und in allen Details die Baseball-Regeln. Ich hatte den zappelnden Luis im Tragerl und war etwas abgelenkt. Die Regeln verstand ich nicht. Aber nun weiß ich zumindest, wer die Pappherren im Dunkin‘ Donut waren, über die ich mir neulich Gedanken gemacht habe. Tatsächlich Baseballspieler, nämlich von den New York Mets, der Mannschaft aus Queens (Sylvia lebt in Queens), die, auch das erzähle mir Sylvia, just heute gegen die andere große New Yorker Mannschaft antritt, nämlich die Yankees, die aus der Bronx kommen. Auf diese Weise haben wir bis zum bitteren Ende gelernt.

Ermattet von soviel Wissen und von der Hitze ließen wir uns auf dem Heimweg in der 116ten Straße (also ums Eck) in den leeren Gastgarten eines xbeliebigen Mexikaners fallen und aßen Speisen, die wir noch nie probiert hatten. Marlene bekam zum ersten Mal Coca Cola (gegen Durchfall) und war begeistert.

ABC – ein Tag in Alphabet City

Ein kleines Programm sollte es sein an diesem Samstag: einen Kaffee im East Village trinken, danach zum Union Square spazieren und am dortigen Greenmarket einkaufen. Dann, so der Plan, würde ich bei Barnes and Noble einmal ausgiebig und echt schmökern während Anton Marlene und Luis auf dem Kinderspielplatz in Schach hält. Es wurde aber einer der vollsten und schönsten Tage, die wir hatten. Und das ging so:

Unsere steten Klagen über den schlechten Kaffee hier haben einige unserer lieben FreundInnen auf den Plan gerufen und sie haben für uns herausgefunden, wo wir guten Kaffee bekommen können. Patricks Direktiven folgend sind wir ins East Village gefahren, weil es dort einen der besten Kaffees der Stadt geben soll. 9th street, so der unspektakuläre Name des Cafés in der gleichnamigen Straße. Der Weg dorthin war wunderschön. Das East Village ist Antons liebster Stadtteil, weil es hier so viele verschiedene Geschäfte, Lokale, Parks und andere Dinge gibt. Die Atmosphäre, zumindest unter Tags, ist vollkommen gelassen und ruhig. Diese Gegend wurde vom Städteplaner Robert Moses verschont. Das heißt: keine Autobahn durchpflügt den Stadtteil, keine Hochhäuser, dafür gibt es kleine Geschäfte für Antiquitäten, Kleider, Regenschirme und -stiefel, viele italienische Lokale, japanische Lokale, ukrainische Kultur, Gay-Kultur und und und.

Wie man sich denken kann, ist die Gegend recht teuer geworden. In den 60er Jahren hat die Gentrifizierung begonnen, als Greenwich Village langsam schick geworden ist (und die Mieten gestiegen sind) und die Schar nach East Village weitergezogen ist, das sich auch Alphabet City nennt (wegen der Avenues A, B, C, D, die hier durchführen) oder Loisaidia (Lower East Side), im Englisch der spanischsprachigen Zuwanderer, wahrscheinlich PuertoricanerInnen.

Unsere Stimmung jedenfalls war heiter, der Tag sonnig und der Spaziergang erfreulich, weil die Straßen des East Village ebenso wie jene der angrenzenden Lower East Side angenehm zu durchschreiten sind. Und dann sind wir an einem der aufregendsten und größten Community Gardens vorbeigekommen, die wir hier je gesehen haben. Der Zaun gesäumt von künstlerischen Dosenblumen und allerlei seltsamen Fundstücken. Staunend bin ich stehengeblieben und habe zu fotografieren begonnen.

Und dann hatte er auch noch geöffnet! Wir haben gesehen: Einen kleinen Vogel, dessen Schwanzfedern noch nicht einmal richtig fertig gewachsen waren und der noch ziemlich überwältigt von der Welt seine ersten und meist missglückten Flugversuche unternommen hat, eine wackelige selbstgebaute Schaukel mitten in der Obstbaumwildnis, die Marlene gleich in Besitz genommen hat, irgendwo versteckt ein kleines Gewässer mit Schildkröten und Goldfischen, eine Schaukelbank (nein, keine Hollywoodschaukel), eine Laube, in der wir dann später Mittag gegessen haben. Marlene hätte sich noch ewig hier aufhalten können, ich auch. Ein wunderbarer Platz, den ich am liebsten nach Hause mitgenommen hätte. Was für ein Glück, dass geöffnet war!

Und dann, ein paar Schritte weiter, gleich der nächste mindestens genauso wunderbare Community Garden mit einer der schönsten Trauerweiden, die ich seit langem gesehen habe. Sie hat eine Ausstrahlung, die einen sofort gefangen nimmt und wunderbar ruhig werden lässt. In diesen Gärten waren wir in Orten der größten Magie. Und von einer Vielfalt, die nur durch die vielen vielen Menschen zustande kommt, die diese Gärten pflegen und gepflegt haben. Tatsächlich gehören diese beiden Gärten zu den größten der Stadt.

Übrigens haben wir in diesem zweiten Community Garden bei der Rettung eines anderen Kleinvogels eine Rolle gespielt. Er hatte nämlich das Pech, sich beim Sturz aus seinem Nest Kopf und Flügel in einer Bank einzuzwicken. Es ist mir etwas unangenehm, aber ich gestehe, dass ich ihn gleich ins Jenseits befördern (lassen) wollte, in der Vermutung, dass er zu schwer verletzt war um zu überleben. Weil wir ihn nicht selber killen wollten, haben wir einen uns mutig erscheinenden jungen Mann geholt (wir: eine Deutsche, die ebenfalls mit ihren zwei Kindern dort war und ich), der das Todesurteil aber sofort abgelehnt und den unglücklichen Vogel einfach aus seiner Zange befreit hat. Und er hatte sich gar nichts gebrochen und war sofort wieder recht fidel. Und, wie das Schicksal so spielt, hatte die Deutsche ihren Kindern ein Versprechen gegeben: Wenn sie einmal einen kleinen elternlosen Vogel finden würden, könnten sie ihn zu sich nehmen und pflegen. So hat das Vögelchen weiter leben dürfen und sogar ein neues Zuhause gefunden. Marlene und ich waren sehr erleichert und Marlene hat noch lange über den Vogel gesprochen. Ich hoffe, sie hat nicht mitbekommen, dass ich dem Kleinen an den Kragen wollte.

Ich würde den heutigen Tag am liebsten in allen Mikro- und Makrodetails beschreiben, aber die LeserInnenfreundlichkeit bremst mich. Deswegen noch zur Geschichte der beiden Community Gardens, die uns sofort an die 68er erinnert haben. Die Leute haben sich diesen öffentlichen Raum angeeignet, um ihre Umgebung zu verschönern, Gemüse anzubauen und sich das Stadtleben angenehmer zu machen. Zuvor waren es verwahrloste Plätze, voller Müll und Unrat. Die Geschichte des 9th Street Community Gardens ist sehr aufregend. Bis in die späten 90er Jahre, unter Bürgermeister Giuliani, gab es laufend Angriffe auf die Gärten. Giuliani wollte diese Bauplätze in bester Lage verschachern, was er in vielen Fällen auch erreichte. Von Loisaidias 60 Gärten sind nur 40 übrig geblieben. Wer die Geschichte des anderen von uns besuchten Gartens lesen möchte, kann sie hier anschauen. Beide sind auf der 9th Street (zumindest geöffnet Samstag und Sonntag von 12-18 Uhr).

Unser Kaffee im ebenfalls 9th street Espresso genannten Café war ebenfalls von einer ganz fröhlichen und entspannten Natur. Die Kinder sind von allen bewundert worden, keine Verbote, keine Ermahnungen, wie es ansonsten gelegentlich vorkommt. Marlene hat ihren Kakao von dem netten Barista spendiert bekommen, der einen Sohn von eineinhalb Jahren hat, wie er mir erzählt hat. Der Kaffee war ausgezeichnet, der Platz, gegenüber der wunderbaren Trauerweide, super gewählt. Fein, fein, fein. Danke, lieber Patrick, für diesen Tipp!

Auf unserem Weg zurück sind wir wieder durch den Tompkins Square Park, der auch einiges an aufregender Geschichte zu bieten hat. 1988 hat es hier wilde Straßenschlachten mit der Polizei gegeben. In dem Park hatten bis dahin Obdachlose Quartier bezogen, Dealer und Drogensüchtige haben hier ihre Geschäfte verrichtet. Als wäre das nicht genug, hat ein böser Mensch eine Frau umgebracht, sie enthauptet und aus ihr eine Suppe gekocht, die er dann an die Obdachlosen ausgegeben hat. Obwohl der Park heute einen vorwiegend freundlichen Charakter hat, ist mir schon bei unserem ersten Besuch aufgefallen, dass sich hier auffallend viele Obdachlose aufhalten. Vielleicht erheben sie einen gewachsenen historischen Anspruch auf den Raum? Ich finde hier unangenehm, dass jedes Grün von dicken Eisengittern umgeben ist. Sogar in die Liegewiese kommt man nur durch ein kleines Türchen. Auf diese Weise hat man wohl versucht, die Kontrolle über diesen Park zu bekommen.

Aber zurück zu unserem Spaziergang durch den Park. Schon nachdem wir aus dem Café getreten waren, haben uns Klänge zuerst in die andere Richtung gelockt. Die haben sich aber als Krach katholischer Agitatoren entpuppt, die zwar ein Mischpult dabei hatten, was aber die Klänge nicht verbessert hat. Aber hier, im Park, war eine richtig ambitionierte Band am Werk.

Ein begeisterter Trupp von sechs Leuten. Save us, save us, auch hier ging es um die Rettung, aber das hat richtig Spaß gemacht. Luis war sofort begeistert dabei und hat geklatscht und seinen Charme in alle Richtungen versprüht, Marlene hat sich dann bald angeschlossen und gleich Ballettübungen gemacht, die sie beim DVD-Schwein Olivia gesehen hat. Was für ein relaxter Samstag!

Eigentlich wär das schon ein Tag gewesen. Unser Programm (Buchhandlung, Spielplatz, mit Sprinkler) haben wir aber trotzdem noch durchgezogen, was wir nicht hätten tun brauchen, weil wir eh schon voller wunderbarer Eindrücke waren. Marlene ist am Heimweg eingeschlafen, Luis hat durchgehalten bis wir zu Hause waren. Übrigens haben wir uns beim immer gleichen mexikanischen Straßenstandl um die Ecke noch Quesadillas bestellt. Sie haben uns erkannt als die, die den Rucksack verloren haben (wie sie einander erzählt haben, in der Meinung, wir würden es nicht verstehen).

Hundstage

Mamma mia, haben wir gerade eine Hitze! Die Luftfeuchtigkeit bewegt sich bei 90 Prozent und mehr. Dadurch werden 35 Grad zu gefühlten 45. Wir bewegen uns als wären wir in Watte gepackt. Als würde alles um uns herum stillstehen.

Wir haben einen Ausflug gemacht. Was denkt man sich angesichts dieser Umstände dazu? Es war schon einige Zeit ausgemacht und daher nicht so leicht zu ändern. Unser Ziel war Middletown, eine 50.000 Einwohner-Stadt in Connecticut. Wir haben dort einen Freund besucht, der uns mit einer Gastfreundschaft empfangen hat, die herzerwärmend war. Die Stadt hat keine großen Sensationen zu bieten, was auch gut war, weil wir ziemlich gelähmt waren aufgrund der Hitze. Eine Sensation hat sie allerdings zu bieten: die Wesleyan-Universität, ohne die Middletown wahrscheinlich von der Landkarte verschwinden würde. Laut Wikipedia wurde sie im Jahr 2006 auf Platz zehn des U.S. News & World Report gereiht. Unser Freund ist Professor in Wesleyan und hat uns durch den Campus geführt, was wir ihm hoch anrechnen angesichts der erschwerten Umstände. Das war vielleicht interessant: Der Campus hat eine unglaubliche Ausdehnung, viele kleine und mittlere Gebäude dazu. Die Human Resources  zum Beispiel sind in einem pittoresken Häuschen einquartiert, die Philosophie in einem historistisch anmutenden Tempel. 1831 wurde die Universität gegründet.

Beeindruckend waren nicht nur die wunderhübschen historischen Gebäude. Die Film Studies haben zwei Kinosäle, einen kleinen für etwa 150 Leute (wenn ich mich recht erinnere) und einen großen für 450 Leute. Riesig! Zum Vergleich: unser geliebtes Filmmuseum fasst nur 165 Leute.

Wesleyan spielt auch eine nicht unbedeutende Rolle im kulturellen Leben der Stadt. Wie ich gesehen habe, gibt es Tanz- und Theateraufführungen, Ausstellungen und auch der Kinosaal wird immer wieder auch für die Öffentlichkeit geöffnet. Es war sehr spannend hier herumgeführt zu werden und einen Einblick in das Leben einer amerikanischen Uni zu bekommen. Eine vollkommen andere Welt als ich sie von der Wiener Uni kenne. Und immer wieder musste ich an I am Charlotte Simmons von Tom Wolfe denken. Wer keine Scheu vor dicken Schwarten hat, sollte sich das Buch besorgen. Eine Milieustudie über das Leben am Campus, die gar nichts auslässt.

Nach einer Übernachtung sind wir wieder nach Hause gefahren und haben uns durch die Hitze nach Hause gekämpft. Die arme Marlene war ziemlich mitgenommen von der ganzen Unternehmung im 50 Grad-Bereich. Heute noch war sie recht grantig und müde. Zugegeben, unser Programm war ambitioniert: Zuerst Museum of the City of New York mit zwei spannenden Ausstellungen und am Nachmittag waren wir endlich im schwarzen Harlem und haben das Studio Museum angeschaut in der es eine Kraut und Rüben-Ausstellung zu „the Carribean“ gegeben hat, dafür aber waren viele Arbeiten sehr beeindruckend.

Zu Mittag sind wir in der Lenox Avenue auf der Höhe der 125sten Straße, also mitten in Harlem, zufällig in ein Soul-Food-Lokal namens „Sylvia’s Soul Food“ geraten, das, wie sich herausstellte, legendär ist. Wir nahmen Platz und wer hing hinter uns an der Wand? Ein riesiges Foto, das Chefin Sylvia mit Bill Clinton und seinem Bodyguard zeigt. Und vor uns? Ein noch größeres fotorealistisches Bild von Barack Obama mit Gattin Michelle.

Der ganze Raum war mit Schnappschüssen von SchauspielerInnen, SängerInnen und PolitikerInnen dekoriert. Im Vorraum eine Collage von Berühmtheiten, ein who is who schwarzer Stars. Alle waren sie da.

Das Essen war nicht schlecht, ungefähr so gut, wie man es sich an so einem Promiplatz erwarten kann. Aber nicht nur die Promis kommen zu Sylvia’s, sondern auch ganz normale Leute. Etwa solche, die mit ihren Kindern ihren Schulschluss gefeiert haben – die sind nämlich in speziellen Kutten gekommen, wie wir sie aus dem Fernsehen kennen. Am Nachbarstisch hat ein Bub Waffeln mit Backhendl bekommen. Soul-Food ist keineswegs die Leichte Küche, wie ich gerade nachlese. Laut Artikel dürfte es eine nicht unbedeutende Rolle an den Gewichtsproblemen der schwarzen Bevölkerung spielen. Ich glaube aber vielmehr, dass die größere Rolle bei der Speckschwarte Fast- und Convenience Food spielen. Dazu Chips und Softdrinks. Soulfood stellt eine interessante Mischung aus der Küche der Sklaven und Native American-Küche dar. Die Bezeichnung geht auf die 60er-Jahre zurück, während derer African-American-Culture mit dem Attribut „Soul“ markiert wurde (z.B. Soul-Music).

Am Heimweg, zu Fuß, denn das schwarze Harlem ist nicht allzu weit von unserer Wohnung entfernt, sind wir dann bei etlichen Straßenverkäufern vorbeigekommen. Einige von ihnen bieten in herrlichen Verkaufsarchitekturen Parfum in kleinen Fläschchen an.

Es gibt Düfte mit Namen wie Crystal Blue, Bellagio Women, China Musk, Pulse Beyonce, aber auch Dolce Gabbana u.ä. Wie die Wässerchen wohl nach Hause transportiert werden? In noch kleineren Fläschchen? Oder in Plastiktiegelchen? Wer weiß. Wir haben nur geschaut, nicht gekauft.